Mittlerweile habe ich mich in dieses kleine Städtchen richtig verliebt. Es ist und bleibt halt alles eine Frage der Erwartungen. Ich hatte ein ziemlich genaues Bild davon, wie eine Stadt aussehen sollte, in der Spiritualität und Glaube so tief verwurzelt und auch gelebt werden wie hier. Nun, von dem Bild ist kaum etwas übrig geblieben, und das ist auch gut so. Sicher gibt es hier Menschen, die ernsthaft Yoga- und Meditationsunterricht nehmen. Teilweise selbst Lehrer in ihrer Heimat sind. Und die erkennt man sofort. Es sind keine Suchenden, sondern Menschen, die ihren Weg gehen und viel Frieden in sich tragen. Wie gesagt, es sind wenige, aber die tun gut und mit denen ist sofort Kontakt da. Und mit den Lehrern ist es ähnlich. Da gibt es welche, die „betreiben“ hier riesige Ashrams, in die auch Politiker und andere Berühmtheiten kommen. Und dann veranstalten die alle gemeinsam eine Show, bei der Selbstdarstellung schon mal ganz weit oben steht. Und dann gibt es diejenigen, die findet man in den kleineren Ashrams, die machen kein großes Gewese, weil sie einfach auch wissen, dass sie gefunden werden wenn es an der Zeit ist.
Dennoch hat dieser ganze Esoterik-Tourismus auch echten Unterhaltungswert. So viele Verstrahlte auf einem Platz habe ich noch nie zuvor gesehen. Und wenn du glaubst, dieser West-Yogi ist nicht mehr zu toppen, kommt schon der nächste um die Ecke und beweist das Gegenteil. In meinem Stamm-Café bei der Brücke schlagen sie dann im Laufe des Vormittags alle auf. Ich kann das gar nicht beschreiben. Die Mischung ist einfach zum Piepen. Da treffen dann Senioren-Reisegruppen auf Sinnsucher und Outdoor-Aktivisten aus aller Herren Länder. Gestern morgen setzte sich ein eigentlich sympathischer Typ zu zwei Frauen an den Nachbartisch. Weder grüßte er, noch fragte er ob der Platz frei sei. Er grinste nur vor sich hin, lud sein Essen energetisch auf bevor er es zu sich nahm und entschwebte beinahe schwerelos nach Vollzug des Frühstücks. Immer noch grinsend, immer noch in dem festen Glauben, dass um ihn herum nichts und niemand existiert. Als er um die Ecke war, fingen wir alle an zu lachen und sofort entstand eine nette Unterhaltung… Dabei war der Typ noch gut drauf. Die meisten Sinnsuchenden laufen hier rum, als hätten sie gerade ihren Geldbeutel verloren. Na ja, halt so wie ich am ersten Tag.